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Ein Gespür für die Balance zwischen Notwendigem und Machbarem - Interview mit Dr. Petra Gärtner

Zweieinhalb Jahre war Dr. Petra Gärtner Leiterin des Zentrums digitale Arbeit und prägte die Ausrichtung und Arbeit maßgeblich mit. Zum Abschluss des Projektes haben wir mit ihr gesprochen und sie um ein Fazit, aber auch um einen Blick nach vorn in Richtung des nächsten Förderprogramms gebeten.

 

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Mehrwert, der im ESF-Programm Zukunftszentren erzielt wurde und warum denken Sie das?

Alle am Programm Beteiligten wissen heute am Ende der aktuellen Programmlaufzeit sehr viel praxiskonkreter um die außerordentlich große Vielfalt der einzelbetrieblichen und individuellen Herausforderungen bei der Bewältigung der digitalen Transformation und damit verbundener oft auch kleinteiliger Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt. Dieses Wissen ist gepaart mit gesammelten Erfahrungen zur partizipativen Gestaltung von arbeitsplatznahen Lernprozessen für einen bedarfsbezogenen menschengerechten Einsatz digitaler Lösungen in den vielen Betrieben, die mit dem Programm in Ostdeutschland erreicht worden.

Dies ist gelungen, weil mit den Zukunftszentren eine transparente, leicht zugängige und niedrigschwellige Beratungs- und Begleitungsinfrastruktur für Unternehmen, Beschäftigte und Selbständige in den Regionen entstanden ist, die in der Lage ist, auf eben diese Vor-Ort-Gegebenheiten mit Unternehmensleitungen und Beschäftigten niedrigschwellig einzugehen und kollaborative Lösungsansätze für den sinnvollen Einsatz digitaler Technologie auszulösen. Dabei spielt die Schaffung von Räumen für individuelle und kollektive Kompetenzentwicklung eine unabdingbare Rolle.

 

Was sind Ihre ganz persönlichen Lernnuggets im ESF-Programm Zukunftszentren?

Mit etwas Abstand auf meine zurückliegende Erfahrung aus zweieinhalb Jahren Leitung des ZdA möchte ich folgende Erfahrungen herausheben:

Die komplexen Erfordernisse im technologischen Wandel werden immer in der betrieblichen Realität austariert und führen zu sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Ausformungen der betrieblichen Entscheidungen und Transformationsprozesse. Nicht alles was technologisch möglich ist, ist unter den betrieblichen Bedingungen und aus dem Blickwinkel der Interessen der Unternehmen und deren Beschäftigten sinnvoll. Dabei spielen u.a. eine Rolle: Branche, regionale und überregionale Wertschöpfungsketten, Belegschaftsstruktur, betriebliche Mitbestimmung und Partizipation, Unternehmens- und Weiterbildungskultur. Entsprechend flexibel müssen die  Szenarien zur externen Unterstützung und Begleitung sein, sollen sie nachhaltig wirken. Zentral ist dabei die Impulsgebung für die Stärkung einer eigenständigen Gestaltungskompetenz. Gerade in technologischen und arbeitsorganisatorischen Transformationsprozessen zeigt sich, dass von den Beschäftigten her zu denken und mit den Beschäftigten gemeinsam tragfähige Veränderungsprozesse zu gestalten längst noch keine Selbstverständlichkeit in KMU ist und der Beispielgebung bedarf.

Wir sprechen schon seit vielen Jahren von der Notwendigkeit betrieblicher Weiterbildungsstrategien als festem Bestandteil für eine wettbewerbsfähige Unternehmensentwicklung und die Gestaltung Guter Arbeit. Mit der Komplexität der derzeitigen Herausforderungen inklusive der Fachkräftesicherung, in denen die Digitalisierung eine zentrale Säule des Wandels der Arbeit ist, werden betriebliches Lernen und Weiterbildung quasi zum kategorischen Imperativ  – es geht nicht mehr ohne und dann am besten systematisch vorausschauend. In einem entsprechenden Kompetenzauf- und -ausbau spielen Kollaboration, Partizipation und Veränderungsfähigkeit zudem eine zentrale Rolle.

Die Vielzahl an Unterstützungsmöglichkeiten für Unternehmen wie Beschäftigte entfaltet am besten seine Wirksamkeit bei den Adressaten durch Kooperation und Vernetzung unter den Akteuren entsprechender Angebote. Die abgestimmte Navigationsfunktion zwischen den verschiedenen Förderinstrumenten für Interessierte ist von zentraler Bedeutung für einen verzahnten Wirkungsgrad der Fördermöglichkeiten und perspektivisch sicher noch weiter ausbaubar.    

Last but not least: Ein maßgeblicher Gelingensfaktor der Arbeit des ZdA wie auch der regionalen Zukunftszentren als einer neuartigen Unterstützungsinfrastruktur für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen war der ermöglichte und genutzte Gestaltungsspielraum bei der Konturierung der Zentren. Die enge und ergebnisorientierte Zusammenarbeit mit dem BMAS war dafür maßgebend.   

 

Und was geben Sie den Akteuren im ESF-Programm der Zukunftszentren zukünftig mit auf den Weg, um die nächsten vier Jahre erfolgreich zu gestalten – explizit in Hinblick auf die nun bundesdeutsche Ausrichtung?

In der mehr als dreijährigen Arbeit der ESF-Zukunftszentren ist ein immenser Erfahrungsschatz mit einer Vielzahl an Konzepten, Szenarien, Instrumenten und betrieblichen Umsetzungsbeispielen entstanden, die eine sehr gute Ausgangslage für das weitere Ausrollen der Unterstützungsangebote jeweils in den Regionen mit ihrer Vernetzungsstruktur sowie im überregionalen Wissens- und Erfahrungstransfer bieten. Die bisher erprobten Wege zur Sensibilisierung betrieblicher Akteure für die Chancen und Risiken sowie die Erschließung von Potenzialen der Digitalisierung sollten mit dem neuen ESF-Programm des BMAS ab 2023 ausgebaut und überregional wirksam für die Erreichung neuer Unternehmen in die Breite getragen werden. Schwerpunktkompetenzen in einzelnen Zukunftszentren bieten sicher eine gute Gelegenheit für einen fruchtbaren bundesweiten Austausch untereinander. Insbesondere für die Begleitung von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz  gerade in KMU  ist die Nutzung des Erfahrungspotenzials aus der angewandten Forschung anregend und impulsgebend. Mit der Initiierung von Austauschgelegenheiten mit und unter Anwendern digitaler Technologien aus der betrieblichen Praxis zur neuen Gestaltung von Arbeits- und Lernprozessen könnten neue Synergien entstehen. Die zahlreich bereits entwickelten Lehr-Lernkonzepte bieten schließlich eine gute Grundlage für deren bedarfskonkrete Adaptionen und Weiterentwicklungen, die vielleicht auch in gemeinschaftliche Konzeptentwicklungen zwischen Zukunftszentren münden kann.

Da die Komplexität der Herausforderungen in der vor sich gehenden sozial-ökologischen Transformation für die Unternehmen und Beschäftigten nicht zuletzt mit Blick auf die Standortsicherung eher weiter zu- als abnehmen werden, spielt für alle Mitwirkenden das Gespür für die Balance zwischen dem Notwendigen und Machbaren in den Belegschaften gepaart mit der Stärkung organisationaler und individueller Resilienz eine zentrale Rolle.

Ich wünsche allen Akteuren in den Zukunftszentren für die kommenden Aufgaben viel Erfolg und eine breite Wirksamkeit!