Nachlese: ATB-Kolloquium in Chemnitz

Arbeit.Mittelstand.Innovation - Gemeinsam Zukunft gestalten

Unter dieser Überschrift fand am 14. Juni 2022 in Chemnitz das Arbeitswissenschaftliche Kolloquium anlässlich der 30-jährigen Geschäftstätigkeit des ZdA-Projektpartners ATB gGmbH im Bereich der angewandten Arbeitsforschung statt.

 

Unter Beteiligung des Zentrums digitale Arbeit (ZdA) tauschten sich über 70 geladene Gäste sowie hochkarätige Expert*innen und Redner*innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu den Themen „Digitale Schlüsselkompetenzen“, „Fachkräftesicherung“, „Arbeitgeberattraktivität“ und „Neue Wertschöpfungsimpulse durch Künstliche Intelligenz“ aus.

Der ZdA-Projektleiter Dr. Felix Erler stellte die Aufgaben und Ziele des ZdA vor und gab in der Diskussionsrunde einen Einblick zu den Möglichkeiten und Grenzen von Künstlicher Intelligenz.

Nach der Eröffnung durch den ATB-Gesellschafter Dr. Wolfram Risch annoncierte Christoph Neuberg, zukünftiger Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz in seinem Grußwort einen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft. Unter Berücksichtigung von aktuellen Trendthemen, wie Antriebstechniken, Kreislaufwirtschaft, Lieferkettensicherheit findet momentan ein Umdenken von ursprünglich globaler Zielrichtung wieder hin zu mehr Regionalität und Lokalität statt.

In Sachsen gibt es derzeit über 100.000 freie Stellen und die Besetzung wird immer problematischer. Innovative Arbeitszeitmodelle sind dabei genauso gefragt, wie eine neue Organisation der Arbeit, insbesondere mit Blick auf Gesundheit und demografische Entwicklung. „Die ATB hat den Strukturwandel in der Region von Anfang an begleitet, sie ist Vorreiter bei den Themen Demografie und Digitalisierung“, so Neuberg.

Bei der Bildungsvermittlung liegt ihr Fokus auf den folgenden fünf Schwerpunkten:

  1. Teaching Design Cycle: Weiterbildungs-Planung → Lehr-/Lernexploration → Lehr-Lern-Ideenentwicklung → Teaching-Prototypen → Lehr-/Lern-Evaluation
  2. Hybrid Teaching: analoge und digitale Weiterbildung in Kombination mit analogen und virtuellen Lehr-/Lernräumen
  3. „Gutes Material ist alternativlos“: hochwertige Grafiken, „Spielchen“, verpackte Geschichten „Lernen muss Spaß machen!“
  4. Lernende dort treffen, wo sie zu Hause sind: Nutzung mobiler Technologien, Videos, Podcasts finden Lernende besser als Vorträge oder Abhandlungen
  5. Lernen ist Teamwork: Coaching, Mentoring: Bedarfe und Potenziale von Lernenden (er)kennen.

Katrin Ihle vom SMWA betonte, dass es derzeit nicht mehr nur um Fachkräfte, sondern grundsätzlich um Arbeitskräfte geht, die es zu qualifizieren gilt. Das Image einiger Branchen (Handwerk, Pflege, etc.) stellt im Freistaat Sachsen eine große Herausforderung dar, die Rück- und Zuwanderung gestaltet sich schwierig. Sie erwartet für die Zukunft eine elementare Transformation in den Berufen.

Die Unternehmerin Christin Bergmann von Rosskopf & Partner, Geschäftsführerin eines mittelständischen Unternehmens zur Oberflächenverarbeitung im Bereich Mineralwerkstoffe, Porzellankeramik sowie Quarz- und Natursteine, konzentrierte sich beim Einführungsprozess neuer Technologien und E-Learnings auf aktuell notwendige Schwerpunkte (Urlaubsplanung, digitale Menübestellung in der Kantine), die für die Mitarbeiter*innen nachvollziehbar und bei denen Ergebnisse sofort sichtbar waren. Dadurch gelang ein erster Einstieg.

Marit Bartetzko, ATB-Mitarbeiterin im Projekt PFLEX bestätigt diese Vorgehensweise: Statt reiner Seminarveranstaltungen gilt es, einen praxisorientierten Übergang zu gestalten, bei dem konkrete arbeitsrelevante Probleme behandelt werden. Dabei können die Lernenden als Inputgeber:innen und Contentgenerierer:innen auftreten und profitieren von nachhaltigen Lerneffekten, die sofort zur Anwendung kommen.

Dirk Vogel vom AMZ Sachsen teilt diese Meinung ebenfalls „Lernbausteine sind das Thema, anstatt großer Weiterbildungspakete.“

Im ersten Teil des Kolloquiums diskutierten die Teilnehmer*innen über die „Flexibilität als Erfolgsfaktor“.

Die Arbeitgeberattraktivität rückt immer mehr in den Vordergrund - im Wettbewerb bei der Gewinnung und den Verbleib von Fachkräften. Möchte man Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland anwerben, ist zudem eine Internationalisierung der Arbeitswelt und -kultur ausschlaggebender Faktor.

Frau Prof. Angelika C. Bullinger-Hoffmann, von der TU Chemnitz, stellte in ihrem Input-Vortrag HEUTE FÜR MORGEN QUALIFIZIEREN die Future Skills vor, die neben den klassischen Kompetenzen auch transformative, technologische (4.0, KI) und digitale Schlüsselkompetenzen beinhalten. Beruflichkeit dient als Scharnier und stellt die Verbindung zwischen vorhandenen sowie neuen Kompetenzen dar.

In der anschließenden Diskussionsrunde „Nachgefragt“ tauschten sich Vertreter*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zur Fachkräftesicherung und deren Qualifizierung aus. Dabei wurden zwei wesentliche Trends deutlich:

1. Fachkräftemangel lässt sich derzeit nicht durch die Qualifizierung des nachrückenden, jungen Personals decken. Stattdessen müssen Grenzen der Beruflichkeit aufgeweicht und der Fokus auf das vorhandene Personal gelegt werden, das es zu befähigen gilt.

2. Die digitale Transformation von technischen Innovationen wird begleitet von digitalen Lernformaten, diese sind praxisnah und in Form von Lernbausteinen aufzubereiten. Der Einstieg und die Akzeptanz bei den betroffenen Mitarbeiter*innen ist umso erfolgreicher, wenn das Augenmerk auf vorerst notwendige, aktuelle Arbeitsschwerpunkte fokussiert und Ergebnisse für die Betroffenen unmittelbar sichtbar werden.

Nach einer Vernetzungspause gab Prof. Wilhelm Bauer vom Fraunhofer Institut IAO einen Einblick in die „KÜNSTLICHE INTELLIGENZ" sowie zu neuen Impulsen für Wertschöpfung und Arbeitsgestaltung“. Hierzu führte er die Schwerpunkte Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung als die zentralen Treiber bei der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft an. Dabei soll KI helfen, Aufgaben zu delegieren und Tätigkeiten autonom ausführen zu lassen.

Durch die Digitalisierung wird zudem auch Fachkräftebedarf generiert, da das entsprechende IT-Personal erst ausgebildet werden muss, um digitale Systeme zu entwerfen und zu programmieren. Konkret für die Automobilindustrie verdeutlichte er, dass die Digitalisierung zehnmal mehr Impact erzeugen wird als die Antriebstechnologie.

Bei den KI-Einsatzbereichen für Unternehmen ist ein herausragender Anwendungsschwerpunkt im Bereich Personal zu sehen: „Alle brauchen Fachkräfte, aber keiner hat Zeit für die Suche“. Hier kann KI helfen, z.B. durch Chatbots, sog. „Künstliche Stimmen“ die zur

  • Unterstützung bei der Bewerber*innenauswahl
  • Durchführung von Bewerbungsgesprächen und
  • Erstellung von Trainingsunterlagen

eingesetzt werden können. „Es gibt nur eine Herausforderung im Bereich Digitalisierung und das ist die Qualifizierung: Wir haben die Leute, die es kennen, aber wir brauchen die Leute, die es können!“, so Prof. Bauer. „Erforderlich sind flexible und agile Arbeitsorganisationen und je kleiner das Unternehmen, desto mehr müssen sie es eigenständig umsetzen.“

In der anschließenden Diskussionsrunde „Nachgefragt“ wurden die Möglichkeiten und Grenzen von KI erörtert. Dabei wurden folgende Tendenzen sichtbar:

Repetitive Handlungen zu ersetzen, dafür ist KI ein adäquates Mittel um eine Konzentration auf anspruchsvolle Aufgaben zu ermöglichen und somit Arbeit attraktiver zu machen, so Dr. Felix Erler vom Zentrum digitale Arbeit.

Kai-Uwe Kaden von FusionSystems GmbH setzt eine KI-Anwendung zur Bewegungserkennung und -interpretation von Menschen mit schwerer mehrfacher Behinderung ein. Therapie undGesundheitswesen profitieren von der von dem Personenerkennungssystem, vor allem durch die Erfassung von Körperhaltung und Bewegung. Dadurch ist eine natürliche Interaktion mit den Patient*innen möglich.

Prof. Bauer vom Fraunhofer IAO Stuttgart zeigt auf, dass Personal ein Topthema in der KI-Anwendungen ist, aber empathische, soziale und kreative Aspekte von Problemlöseprozessen (noch) nicht abbildbar sind. Daten sind zu annotieren und zu bewerten, bevor sie im KI-Modell verarbeitet werden können. Dazu ist immer noch menschliche Intelligenz notwendig. Herr Kaden schlägt für die Lücke zwischen Datenerfassung und Datenverarbeitung den „Datenaufbereiter“ als neues Berufsbild vor.

Tobias Sanders, ATB-Mitarbeiter berichtet aus seiner Beratungstätigkeit im Sächsischen Zukunftszentrum ZAQS: Es müssen Lernsettings entwickelt werden, um Veränderungen anzustoßen und Prozesse zu begleiten. Prof. Bauer regt dazu eine Upskilling-Akademie an, Weiterbildung muss aufsetzen auf vorhandenen Berufen.

In einer Schlussrunde geben die Diskussionspartner*innen einen Ausblick, welche Zukunftsperspektiven sie mit KI verbinden:

  • Die Arbeitswelt wird spannender, lästige Tätigkeiten werden automatisiert, der Mensch kann sich anspruchsvollen Aufgaben widmen, „Digitalisierung ist ein Segen.“
  • Achtung, für Upskilling braucht es Motivation und Bereitschaft der Lernenden.
  • Der Hype, den KI gerade erfährt, darf nicht wieder abflauen. Aber wir müssen den Ball flach halten und kurzfristig nicht zu große Erwartungen haben.

In einer finalen Keynote gibt Prof. Michael Uhlmann einen Ausblick auf die perspektivische Entwicklung der ATB gGmbH:

 

„Wichtig ist ein ganzheitlicher Blick auf die Arbeit, KMU waren unsere Zielgruppe von Anfang an. Es gab zahlreiche Stolpersteine, aber wir feiern 31 Jahre ATB und es geht uns gut. Die ATB gGmbH ist eine „Marke“ geworden.

Für die Zukunft brauchen wir Agilität, Wandel und Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Themen. Nicht nur das, sondern die ATB muss selbst Themen setzen und diese in der Region bzw. mit Partnern umsetzen.

Die Zukunft der Arbeit ist auch Thema in der ATB. Wir werden die Kompetenzen der Mitarbeiter*innen noch stärker in den Blick nehmen und arbeitsbezogen weiterentwickeln.

Unsere Antennen sind offen für Netzwerke und Multiplikatoren, in unseren Projekten möchten wir Betroffene zu Beteiligten zu machen.“

Ansprechpartnerin


    
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Dr. Manuela Grigorjan
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
grigorjan@atb-chemnitz.de
Icon Ansprechpartner

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